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Typ 2 Diabetes in der Beziehung

Eine Typ 2 Diabetes Diagnose verändert das Leben und auch die Beziehung. Oliver und sein Mann Martin erzählen, wie sie als Paar damit umgehen.

„Ich fragte mich, was jetzt werden würde.“

Diabetes betrifft nicht nur den erkrankten Menschen. Die Diagnose greift auch in den Alltag von Familie, Freund:innen und Partner:innen ein. So wie bei Oliver und Martin. Sie sind seit mehr als 20 Jahren ein Paar und haben schon viele Höhen und Tiefen in ihrer Beziehung erlebt. „Wir wollen mit Typ 2 Diabetes alt werden“, sagen beide unisono. Dennoch bringt die chronische Erkrankung Herausforderungen mit sich, die nicht spurlos an ihrer Beziehung vorübergehen.

Als Oliver im Sommer 2019 die Diagnose Typ 2 Diabetes erhielt, erfuhr Martin davon am Telefon. Denn damals sah sich das Paar nur an den Wochenenden: Martin wohnte in der gemeinsamen Heimat Stuttgart und Oliver kam arbeitsbedingt lediglich wochenends von München nach Hause zurück. Sie hatten zwar schon länger Symptome bei Oliver bemerkt, die auf Diabetes hindeuteten. Dennoch hatten sie seinen Durst, seine Müdigkeit und die nachlassende Sehkraft nicht ernst genug genommen.

Bis es Oliver an einem Freitag immer schlechter ging. Anstatt zu seinem Mann zu fahren, holte sich der damals 43-Jährige in der nächstgelegenen Apotheke Rat: „Aufgrund meiner Symptome wurde direkt vor Ort ein Zuckertest gemacht“, erinnert sich Oliver. „Dort stellte sich heraus, dass mein Blutzuckerwert so extrem hoch war, dass man einen Fehler des Analysegerätes in Betracht zog.“ Er sollte sofort einen Arzt konsultieren, hieß es.

Oliver wollte nur noch nach Hause, aber am Telefon konnte Martin ihn überzeugen, sofort ins Krankenhaus zu gehen. Dort wurde ihm Blut abgenommen und weitere Tests gemacht, die alle auf Diabetes mellitus hindeuteten. Aufgrund seiner schlechten Werte nahm man ihn stationär auf.

„Als ich von Ollis Diabetesdiagnose erfuhr, habe ich erstmal nur funktioniert.“

„Nach und nach ging es mir besser, aber es ging mir viel durch den Kopf. Ich fragte mich, was jetzt werden würde. Diese Ungewissheit war schlimmer als alles andere. Ich wusste zwar, dass Martin für mich da ist, aber er hatte zu der Zeit auch selbst genug Probleme.“

Martin hatte gerade nach langer Krankheit seine Mutter verloren. „Ich war damals sehr mit mir selbst beschäftigt“, erinnert er sich, „da konnte ich am Anfang nicht so für Olli da sein, wie es nötig gewesen wäre. Ich würde eher sagen, dass ich funktioniert habe – so wie ich es auch während der Krankheit meiner Mutter getan hatte. Davon hatte ich mich noch nicht erholt, so dass ich nach Olivers Anruf zunächst dachte ‚Auch das noch‘.“

Er fuhr nach München ins Krankenhaus. Oliver erinnert sich: „Er machte auf gute Stimmung, um mich aufzuheitern. Aber in Wahrheit ging es ihm selbst total schlecht. Da konnte er mir nichts vormachen, aber ich habe mich einfach nur gefreut, dass er da war – und dass er mir keine Vorwürfe machte, weil ich viel zu lange gewartet hatte, um meine Symptome abklären zu lassen.“

„Der Einkauf hat immer großes Potenzial, zum Streitpunkt zu werden.“

Nach einem gemeinsamen Gespräch mit einer Diabetologin des Krankenhauses war für beide klar: Olivers Ernährung muss sich jetzt radikal ändern, und auch Martin würde nicht so weitermachen können wie bisher.  Der Lebensmitteleinkauf war meistens Martins Aufgabe gewesen. „Das habe ich buchstäblich aus dem Bauch heraus gemacht“, schmunzelt Martin. „Wenn man mich losschickt, um zwei oder drei Dinge zu besorgen, dann komme ich in der Regel mit zwei vollen Einkaufstüten zurück. Und rückblickend muss ich gestehen, dass da nur wenig Gesundes dabei war.“ Schokolade, Kekse & Co waren damals aus dem Leben des Paares kaum wegzudenken, so dass es immer einen Vorrat an Süßem gab – in der Beziehung mit einem Typ 2 Diabetiker kann das schwierig sein.

Martin erzählt: „Süßigkeiten gehörten zu unserem Alltag. Deshalb bedeutete es für uns eine große Umstellung, darauf so gut es geht zu verzichten.“ Anfangs passte Martin seinen Speiseplan aus Solidarität an. „Natürlich wollte ich mir ab und zu ein Stück Schokolade gönnen“, erzählt er. „Also landeten die Verlockungen wieder in meinem Einkaufswagen und damit im Haushalt.“

„Der Einkauf hat immer großes Potenzial, zum Streitpunkt zu werden“, sagt Oliver. „Wenn man weiß, dass “unsichere”, also kohlenhydratreiche Lebensmittel vorrätig sind, fällt es einem unheimlich schwer, nicht zu naschen. Also habe ich einerseits gesagt ‚Kauf das nicht!‘. Aber wenn er sich daran gehalten hat und nichts griffbereit da lag, hatte ich ausgerechnet Heißhunger drauf und war frustriert. Daraus sind unsere häufigsten Beziehungskonflikte entstanden.“ Verletzung mischte sich bei Martin mit Verzweiflung, denn er hatte das Gefühl, kaum etwas richtig zu machen. „Für Oliver ist Süßes auch ein Ventil, wenn er gestresst ist oder Frust hat. Und genau dieses Ventil sollte es jetzt nicht mehr geben.“

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In der Routine liegt die Kraft: Speisepläne gemeinsam gestalten

Trotz allem hatten die beiden nie Zweifel an ihrer Beziehung und ihrer Liebe. Um solche Konflikte zu lösen und ihnen vorzubeugen, sprachen sie viel miteinander – in der Beziehung mit einem Diabetiker ist das besonders wichtig. Sie machten Pläne, was sie gemeinsam ändern wollen. Beispielsweise gingen sie dazu über, immer Lebensmittel auf Lager zu haben, die für Menschen mit Typ 2 Diabetes besser geeignet sind. „Salat, Tomaten, Gemüse, Naturjoghurt oder Eier sind bei uns jetzt immer vorrätig“, erzählt Oliver. „So hat man vor dem Kühlschrank immer die Wahl, zu etwas Gesünderem zu greifen. Und es gibt so viel Leckeres an gesunden Sachen!“

Oft stand den beiden die Bequemlichkeit im Weg, sie wollten nicht selbst kochen. Aber auch hier haben sie eine Lösung gefunden: „Wenn man fertige Kochboxen bestellt, isst man abwechslungsreicher. Sie enthalten viel Gemüse und Rezepte sind gleich dabei. Weil sie geliefert werden, führen uns die Regale im Supermarkt auch nicht in Versuchung.“ Außerdem fanden die beiden Brotliebhaber bei einem Bäcker ihrer Region ein proteinreiches Vitalbrot, das beiden schmeckt und den Blutzuckerspiegel nicht zu stark ansteigen lässt.

„Olli holt mich aus der Komfortzone.“

Von der Umstellung der Mahlzeiten profitierten beide gleichermaßen. Allerdings schaffte Martin es nicht, seinen übermäßigen Limonadenkonsum in den Griff zu bekommen. „Davon habe ich viel zu viel getrunken und weil Oliver zuckerhaltige Getränke links liegenlassen kann, war es für ihn kein Problem, wenn sie vorrätig waren. Heute habe ich allerdings die Quittung, denn mittlerweile wurde auch bei mir Typ 2 Diabetes festgestellt.“

Martin erhielt seine Typ 2 Diabetes Diagnose zweieinhalb Jahre nach Oliver. Da hatte das Paar zwei Jahre Coronapandemie hinter sich – eine Zeit, die auch den Sportmöglichkeiten Grenzen setzte. Fitness-Studios waren lange geschlossen, ausreichend Bewegung kam bei ihnen viel zu kurz.

„Wir mussten erstmal wieder aus dem Quark kommen“, erzählt Martin. „Mir fällt das besonders schwer, denn ich bin etwas lauffaul. Olli ist deutlich disziplinierter und holt mich aus der Komfortzone.“

„Wir wissen, dass wir uns bewegen müssen“, so Oliver. „Natürlich wäre es besser, wenn wir drei Mal wöchentlich ins Fitnessstudio gingen, so wie wir es früher gemacht haben. Aber andere Dinge wie Spazierengehen oder Schwimmen fallen uns leichter, um sie in den Alltag einzubauen.“ Sich zu viel vorzunehmen, was man am Ende nicht einhalte, sei auch keine Lösung.

Mit Rücksicht, Transparenz und Motivation gegen Typ 2 Diabetes

Was können die beiden anderen betroffenen Paaren mitgeben? Zunächst gehe es darum, dem Partner liebevoll vor Augen zu führen, dass Diabetes andere Anforderungen im Alltag mit sich bringt. „Man vergisst relativ schnell, dass der Diabetes da ist“, sagt Oliver. „Das gilt besonders dann, wenn der andere Partner nicht von der Krankheit betroffen ist. Als Mensch mit Diabetes muss man dranbleiben und seinem Umfeld klarmachen: Unterstützt mich bitte!“

Mein Weg mit Diabetes 

Mein Tipp für die Beziehung mit einem Diabetiker

In dem Video verrät dir Oliver, was in einer Partnerschaft mit Diabetes wichtig ist und wie er und sein Mann sich gegenseitig unterstützen.

Es geht darum, rücksichtsvoll an einem Strang zu ziehen, nach Alternativen zu schauen, um ungesunde Lebensmittel zu vermeiden. In punkto Bewegung braucht es motivierende Strategien, um die Komfortzone zu verlassen und Freude an Bewegung zu bekommen.

Martin sagt: „Vorwürfe bringen Paare nicht weiter – egal, ob einer oder beide vom Typ 2 Diabetes betroffen sind. Auch ständige Ermahnungen führen nur zu Konflikten. Der berühmte goldene Mittelweg aus Unterstützung und Bewusstmachung hilft, aber auch Verständnis, so dass man den anderen nicht mit gutgemeinten Ratschlägen nervt.“

Oliver

 

 

„Als Mensch mit Diabetes muss man dranbleiben und seinem Umfeld klarmachen: Unterstütz mich bitte!“

-Oliver

Gemeinsam an einem Strang ziehen bei der Typ 2 Diabetes Therapie

Je nach verordneter Typ 2 Diabetes Therapie ist es wichtig, diese auch einzuhalten und sich gemeinsam damit auseinanderzusetzen. Oliver erklärt: „Sollte man eine Insulintherapie erhalten, muss man sich beispielsweise des Risikos einer Unterzuckerung bewusst sein. Dafür gibt es heutzutage ganz tolle Technik. Mein Glucosesensor schickt einen Alarm auch ans Smartphone von Martin, wenn es zur einer Unterzuckerung kommen sollte. So kann man hervorragend auf sich achtgeben.“

Auch regelmäßige Kontrollbesuche beim Arzt sind sehr wichtig, am besten jedes Quartal. „Dadurch, dass wir beide betroffen sind und die gleichen Ärzt:innen haben, können wir unseren Rhythmus anpassen“, sagt Oliver und fügt hinzu: „Und für alle, bei denen nur ein Partner oder Partnerin betroffen ist, kann ich nur raten: Kritik maßvoll einsetzen. Wenn sie zu hart ist, prallt sie nur ab und langfristig belastet das eine Beziehung.“

Wichtig sei auch, dem Freundeskreis offen mitzuteilen, dass man sein Leben auf Typ 2 Diabetes einstellen muss. „Bei Menschen mit Allergien oder anderen Unverträglichkeiten oder Essensphilosophien wird auch Rücksicht genommen. Da sollte es kein Problem sein, seinen Diabetes offen zu kommunizieren und für uns beim Kochen und Beschenken Zucker und Kohlenhydrate zu minimieren.“

Mit Verständnis, Empathie und Liebe Typ 2 Diabetes meistern

Natürlich gebe es Momente, in denen es zu Spannungen komme, wo man sich nicht einig ist oder den anderen ermahnt, dass er sich gehen lasse. Es komme vor, dass man Dinge mit sich selbst ausmache oder eine Freundin oder einen Freund anruft, weil man sich gerade nicht mit dem Partner auseinandersetzen möchte. Aber insgesamt ziehen Oliver und Martin für sich eine positive Bilanz: „Uns hat die Erkrankung in gewisser Hinsicht noch besser zusammengeschweißt“, so Martin. „Mit Verständnis, Empathie und Liebe kann man die Konfliktpotenziale, die Typ 2 Diabetes mit sich bringt, genauso gut bewältigen wie alle anderen Situationen, denen man in einer Beziehung begegnet.“

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